NEU, BESSER, ANDERS – DEIN SEXLEBEN!

Neu, besser, anders – echt jetzt? Was soll schon noch neu an diesem Thema sein, das die meisten von uns das erste Mal im Alter zwischen 16 und 17 Jahren erlebt haben und im besten Fall seitdem deutlich ausgebaut, verbessert, kurzum geiler gemacht haben. Die heutige Jugend, die sogenannte Generation Z, hat im Durchschnitt sogar rund ein Jahr früher das erste Mal Sex als die Generation zuvor – und zwar mit rund 16 Jahren. Aber das eine Jahr hin oder her macht wohl deswegen auch aus den Jungs noch keine Weltmeister im Bett – höchstens, wenn es darum geht, wie schnell sie binnen kürzester Zeit zum Samenerguss kommen können. Also, wir wissen doch alles, nicht wahr?

Zeit zum Überdenken?

Oder wäre es vielleicht endlich mal wieder an der Zeit, unsere eingefahrenen Praktiken zu überdenken, einen Moment innezuhalten und einfach zu schauen, ob wir wirklich zufrieden sind, wie unser Sexleben aktuell abläuft – und ob es nicht vielleicht ein gutes Stück besser sein könnte? Die älteren Semester unter uns haben der heutigen Jugend meistens eine Langsamkeit voraus, die den Jungs heute oftmals fehlt. Klingt paradox, erleben viele junge Homosexuelle doch gerade heutzutage in den größeren Städten eine breitgefächerte Vielfalt an sexuellen Angeboten und Möglichkeiten, alle Arten von Sexualität ungezwungen erkunden zu können. Fehlt auch vielleicht an mancher Stelle noch das Fachwissen, hilft wenigstens im theoretischen Bereich gerne Tante Google aus. Nichts, was den Jungs noch wirklich fremd sein kann, oder muss. Und während sich beinahe alle von ihnen bis heute die große Liebe, die monogame Zweisamkeit erträumen, wird von ihnen irgendwie erwartet oder zumindest angenommen, dass sie alles schon einmal ausprobiert haben. Gruppensex, Rape-Fantasien und Monsterdildos – nichts ist mehr neu, nichts ist mehr speziell. Alles schon gesehen, vieles schon erlebt. Vielleicht klingt es tatsächlich nach der Geschichte alter schwuler Männer, doch es ist wohl trotzdem ein gutes Stück Wahrheit in folgender Aussage zu finden: Nur weil junge Männer heute alles machen können, bedeutet das nicht, dass sie auch wirklich bereits reif dafür sind. Ja, reif, dieses Wort aus Opas altem, vergilbten gelben Duden in der Bücherwand. Es sei ihnen allen natürlich vergönnt, all die schnellen Momentaufnahmen, die Orgasmen und die wilden Sexabenteuer, doch erleben jene, die sich dazu verleiten lassen, alles in einer solch immensen Geschwindigkeit, dass oftmals gar keine Zeit bleibt, einmal ernsthaft zu hinterfragen: Gefällt mir das gerade wirklich? Was empfinde ich tatsächlich dabei? Wie gut ist das alles in der Realität, abseits vorab gefestigter Vorstellungen? Für die Generation Z gilt im Spiegel der allgegenwärtigen Omnipräsenz ihres eigenen hyper-gefakten Selbstbildnisses auf den Dating-Portalen und bei X, Instagram und TikTok stets für alles bereit zu sein. Kein geiles Erlebnis ist zu krass, zu wyld, und niemand scheint da, der mutig einmal sagt: Jungs, darauf habe ich keine Lust. Dabei gibt es natürlich trotzdem jene, die sich dem Sog um sexuelle Aufmerksamkeit in der Community entziehen – und nicht selten geschieht es dann, dass jene genau deswegen als altbacken, konservativ und spießig gedisst werden.

Die heute etwas älteren Homosexuellen, also jene Männer, die irgendwo zwischen Baby Boomers, Generation X und Millenials sowie den „richtig Alten“, also allen jenseits der 30er-Todeszone, aufgewachsen sind, haben ihre Sexualität in Etappen aus- und erleben dürfen, deren Abstände dabei voneinander deutlich größer waren. Vom ersten Sex über den ersten Analverkehr bis zum Gruppengangbang dauerte es länger als ein Wochenende. Vielleicht mag manch einer dieser heutigen Herren die Jugend um ihre positiv lasterhafte Sexualität beneiden, doch wird dabei oftmals verkannt, dass Sexualität eigentlich immer ein Entwicklungsprozess ist und sie nur dann in vollen Zügen genossen werden kann, wenn man nicht einen Schnellficker-Kurs in drei Tagen belegt hat. Natürlich können auch Jungs alles machen, wozu sie Lust haben – die Frage ist nur, haben sie wirklich Lust dazu? Selbstständig? Oder sollen sie eben Lust dazu haben, weil doch alle um sie herum und gerade in der Gay-Community irgendwie so offen drauf sind? Keiner macht ihnen doch etwas vor, bitte nur nicht schämen, kein Cringe please, Digga. Und so haben die älteren Semester unter uns wohl tatsächlich einen gewissen Heimvorteil mit ihrer Sexualität, weil sie sich Schritt für Schritt an Erlebnisse und Abenteuer meist zwangsweise herantasten mussten. Nicht die Vernunft ließ sie langsam voranschreiten, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse – geschehen in einer Zeit vor dem Internet oder sogar noch weiter zurück in der Nachkriegsära vor und nach dem Mauerfall, als sexuelle Handlungen unter Homosexuellen teilweise noch strafbar waren oder nur heimlich in Klappen, dunklen Ecken und Saunen stattfinden konnten. Schwule, junge Männer damals wie heute waren und werden wohl verständlicherweise selten von Vernunft geleitet, wenn es um die Lebenslust und die sexuelle Begierde geht. Die älteren Herren waren nicht cleverer als die Generation Z, sie hatten nur nicht das Überangebot an Möglichkeiten.

Wie also lässt sich Sex nun neu entdecken bei einer Gruppe schwuler Männer, die entweder schon vor dem zwanzigsten Lebensjahr gefühlt alles einmal erlebt, gefickt und weggespritzt haben oder eben zu jenen gehören, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr genau erforscht und festgelegt haben, was sie geil finden, und was nicht? Was will man neu entdecken, wenn die einen scheinbar alles wissen und die anderen scheinbar alles gemacht haben? Die Antwort ist beinahe simpel: Zurück zum Anfang. Und zwar gemeinsam. Nein, das ist kein grundsätzlicher Apell für Daddy-Sex, aber wer sich damit anfreunden kann, schafft vielleicht leichter den ersten Schritt hin zu einem neuen Entdecken der eigenen Lust. Was den einen an Erfahrung und vor allem an sexueller Reife fehlt, können die anderen kompensieren. Im Gegenzug dürfen sie von einer jugendlichen Entdeckerfreude und einem, wenn auch nur unterbewusst geäußerten Wissendurst profitieren, so die eingefahrenen Muster durchbrechen und damit den Raum für ein neues Entdecken ermöglichen. Das kann natürlich auch unter Gleichaltrigen jeden Alters funktionieren, insofern sich beide Partner erlauben, noch einmal die eigene Sexualität im positiven Sinne in Frage zu stellen. Wir sind Alltagsstiere und genau dieser Prozess schreitet auch in unserem Sexualleben stetig voran – dabei lässt sich Alltag überall finden. Ob es nun das monogame Paar ist, das einmal wöchentlich in der 69-Stellung im heimischen Bett fickt oder die Kerle, die sich gerne einstmals in Clubs oder jetzt in Corona-Zeiten auf privaten Partys im Sling liegend von einer Horde Unbekannter penetrieren lassen. Alltag bleibt Alltag, egal wieviel Sperma am Ende dabei herauskommt. Nur mit Entdeckerlust und Zeit, die beinahe magische zweite Komponente, können wir unser Sexleben auch als (junge) alte Hasen in jedem Alter neu wiederbeleben, Körper neu erkunden, Denkmuster durchbrechen und dabei die Lust niemals vergessen. Ebenso wenig wie den Humor, denn gelacht werden darf ebenso, wenn ein Versuch kolossal schiefgegangen ist. Wir haben die Freiheit, uns immer wieder von neuem zu entdecken – es wäre zu schade, wenn wir dieses Geschenk ungenutzt an uns vorbeiziehen lassen. Etwas oft oder schon in jungen Jahren bereits gemacht zu haben, heißt nicht, es wirklich verstanden zu haben – und tatsächlich den größtmöglichen Lustgewinn daraus erzielt zu haben. Dabei wollen wir das doch eigentlich alle: Sex haben, der besser ist als jemals zuvor! (ms)